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Interview in der Schwäbischen Zeitung über meine Erinnerung an den 11. September 2001
Fünf Persönlichkeiten aus Biberach erinnern sich an die Terroranschläge vom 11. September 2001
Von Constanze Kretzschmar und Gerd Mägerle - Schwäbische Zeitung
Biberach - Vermutlich kann sich jeder noch daran erinnern, wo er am 11. September 2001 von den Anschlägen in den USA erfahren hat. Fünf Biberacher Persönlichkeiten erzählen über ihre Erlebnisse am 11. September vor zehn Jahren.
Für die Regisseurin Corinna Palm läutete der 11. September 2001 die beiden großen Kriege unserer Zeit ein: den gegen Krebs und den gegen Terror. „Meine Familie und ich waren erst wenige Tage zuvor aus den USA zurückgekehrt – mein Vater war Cellist und hatte seinen Sommer wie so oft auf dem Kammermusikfestival in Marlboro, Vermont, verbracht. Er war sehr krank. Am Morgen rief er an: Er hatte die Diagnose Krebs bekommen.“
Palm war allein in ihrer Wohnung in Attenweiler, es ging ihr furchtbar. Am Nachmittag spielte ihr Sohn bei Freunden, sie wollte etwas backen und dabei eine Kochsendung im Fernsehen schauen. „Als ich den Fernseher eingeschaltet habe, dachte ich erst, dass da ein schlechter Horrorfilm läuft. Ich hab‘ mich noch geärgert, bis ich verstanden habe, dass das echt ist.“
Die Regisseurin verbringt regelmäßig Zeit in New York, kennt Menschen, die damals in den Twin Towers gearbeitet haben. Nach vielen Versuchen erreichte sie erst in der Nacht jemanden dort. „Zu der Zeit war ich hochschwanger, zwei Wochen später wurde mein zweites Kind geboren. Ich hab mich gefragt: In was für eine Welt setze ich dieses Kind eigentlich?“ Zum Glück ist keiner von Palms Bekannten umgekommen, doch der 11. September hat sie traumatisiert. „Ich selbst könnte immer noch heulen, wenn ich an diesen Tag zurückdenke“, sagt Palm.
Der Biberacher Landrat Dr. Heiko Schmid steckte damals mitten in den Vorbereitungen für seine Wiederwahl als Bürgermeister von Pfullendorf, die am 4. November stattfinden sollte. „Aufgrund dieser besonderen Situation, auch familiär – meine Frau war gerade zum fünften Mal schwanger, die Kinder noch klein – wollte ich eine unbezahlte Auszeit nehmen. Ein Haus in den USA war von Anfang Dezember 2001 bis Ende Februar 2002 gemietet, die Flüge bereits gebucht.“
Dann kam der 11. September: „Wir hatten gerade die wöchentliche Abstimmungsrunde mit meinen Amtsleitern, als Andrea Beck, damals wie heute meine Büroleiterin, hereinkam und berichtete, dass ein Passagierflugzeug ins World Trade Center geflogen sei und man einen Terroranschlag vermute“, erzählt Schmid. „Wir konnten das alle nicht glauben – ich selbst stand schon oben auf der Aussichtsplattform der Twin Towers – und dachten an einen makabren Scherz.“ Die Gewissheit folgte schnell. „Wir versuchten, die Geschehnisse im Internet zu verfolgen, dass damals noch nicht so schnell und vor allem auch völlig überlastet war. Aber aus dem Unfassbaren wurde Gewissheit.“
Zu Hause habe er das Geschehen mit seiner Frau vor dem Fernseher weiterverfolgt. „Mir war klar, dass die Welt ab jetzt eine andere sein würde, als die, die wir gewohnt waren und als die, auf die wir nach dem Ende des Kalten Krieges gehofft hatten.“
Die gebuchte Amerika-Auszeit für sich und die Familie stornierte Schmid daraufhin: „Ein Traum zerplatzte und kostete viel Geld. Ich wusste auch, diese Chance gibt’s für uns nie wieder. Was es gibt, das ist neben dem Guten eben auch das Böse, verblendete Menschen, die Tod, Leid und Grauen billigend hinnehmen oder gar bewusst herbeiführen. Angst war nie ein guter Ratgeber, ist aber seit dem 11. September 2001 ein noch weniger ausblendbarer Wegbegleiter.“
Die Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle aus Stafflangen war nicht mehr ganz sicher, wann ihr Sohn nach New York fliegen wollte, als sie auf dem Fernsehbildschirm in Wiederholungen immer wieder sah, wie Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers flogen. „Im allerersten Moment habe ich mich gewundert, warum ein Infokanal Horrorfilme bringt. Dann habe ich völlig entsetzt an meinen Sohn gedacht.“ Der Sohn wollte ursprünglich erst am 12. September nach New York fliegen, was er dann aber bleiben ließ. Jeggle sitzt seit 1999 im Europaparlament, ist dort auch für Zentralasien zuständig. „In Usbekistan haben mir vor dem 11. September viele Gesprächspartner gesagt, dass wir uns Gedanken machen sollten, ob wir von Islamisten unterwandert werden“, erzählt sie. Doch wie so viele andere habe sie nicht verstanden, was damit gemeint war. „Seit dem 11. September habe ich mich viel mehr damit auseinandergesetzt, dass ich Christin bin und was mir das bedeutet“, sagt sie.
Am Abend des 11. September 2001 läuteten in Biberach die Glocken der Stadtpfarrkirche – und die Menschen kamen zu dem spontan einberufenen ökumenischen Gottesdienst. Der evangelische Pfarrer Ulrich Heinzelmann erinnert sich an das Entsetzen, das er fühlte, als er den Terroranschlag im Fernsehen sah. Er hörte während einer Sitzung davon. „Das war ein wirklich schlimmes Schockerlebnis“, sagt er.
Nach dem Anschlag stellte die Gemeinde ihr Verhältnis zu den Muslimen in Biberach auf den Prüfstand, erzählt er. „Heute ist es etwas Selbstverständliches, dass der evangelische oder katholische Religionslehrer mit den Kindern auch in eine Moschee geht.“ Ebenfalls selbstverständlich seien heute die Besuche beim Tag der offenen Tür zum Ditib, dem muslimischen Verein in Biberach am Zeppelinring.
„Wir haben uns inzwischen auch deutlich mehr mit der Frage beschäftigt, welche Frage Gewalt in der Religion spielt. Es hat ja lange gedauert, bis das Christentum eine Friedensbotschaft verkündet hat“, sagt Heinzelmann. Er werde am morgigen Sonntag im Gottesdienst um 9.30 Uhr der Opfer der Anschläge gedenken.
„Ich war total erschüttert, auch von dem Schicksal derjenigen, die Hilfe geleistet haben“, sagt Hubertus Högerle. Die Feuerwehrmänner, die im World Trade Center versuchten, die Rauchentwicklung zu stoppen, bekam er lange nicht aus dem Kopf. Seine Position als Leiter der Polizeidirektion Biberach hatte Högerle erst wenige Wochen vor dem 11. September 2001 übernommen und war noch in der Einarbeitungsphase. Als er von den Terroranschlägen über eine Mitteilung der Polizei erfuhr, setzten er und seine Kollegen sich vor den Fernseher. „Eine andere Informationsquelle hatten wir zunächst auch nicht.“ Dann überlegten sie, ob Gefahr für Biberach besteht, was die Polizei tun muss. „Wir haben den Streifendienst verstärkt, um das Sicherheitsgefühl zu verbessern“, sagt Högerle.
Seit den Anschlägen habe sich die Polizeiarbeit massiv verändert. Sicherheitskonzepte wurden überprüft, die Polizei arbeitet stärker mit anderen Institutionen zusammen, die Ausbildung geht auch auf die Terrorgefahr ein. Dass Anschläge auch im ländlichen Raum passieren könnten, sei bekannt, meint Högerle. „Es geht Terroristen um die Wirkung des Terrors. Bei einem großen Fest wie dem Schützenfest gehen wir von ähnlichem Gefährdungspotenzial aus wie in einer Großstadt“, sagt er.
April 2014
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